Monday 10 February 2020

TRAVEL: Wenn das ganze Leben umgedreht wird. | Paris, der Ring, die Kette, Sylt & er.



So wie jede Begebenheit in unseren Leben einen Sinn hat, so auch die, dass wir zusammenfanden und auseinandergingen, ohne uns je zu vergessen.

Sie trafen sich am Freitag an der Pyramide, nachdem sie aus der Normandie zurückgekehrt war, voller Blüten und voller Eindrücke, und begingen nach einer Pause am Café am Platz die ganze Stadt. Aber sie waren nicht getrieben, wie all die anderen um sie herum.
Sie flanierten, wo möglich, und sogen das Flair der Stadt auf, die so lange die ihre gewesen war, und das nicht nur, da sie sie, zusammen mit ihrer Familie als kleinstes Kind für eine kurze Zeit ihre Heimat hatte nennen können.

Und sie wusste, dass er am nächsten Tag wieder würde aufbrechen müssen und sie wusste nicht, ob sie sich darüber hätte freuen oder traurig sein sollen. Die Wohnung war die ihre gewesen, und das hatte ihr gefallen. Aber sie freute sich auch über seine Präsenz.
Sie hatte sich schließlich für ihn entschieden – trotz allem.
Den Abend mit ihm zu beenden und zu beginnen, das gefiel ihr, trotz ihrer Unabhängigkeit, die sie auf ihren endlosen Reisen zu schätzen und zu lieben gelernt hatte.
Am nächsten Morgen erwachten sie, schläfrig von der Liebe der Nacht.



Sie blickten aus dem Fenster. Das heilige Herz glänzte golden in der Sonne, die durch die Wolken brach. Sie war sehr warm. Zu warm für einen Tag im September. Und sie fühlte sich zurückerinnert an eine Episode aus dem vergangenen Jahr, als sie an der Schulter eines Mannes lehnte, der sie am Vortag noch hatte verlassen wollen, und es doch nicht tat. Denn das Meer hatte ihnen dazu geraten. Das Meer, das im pastelligen Abendlicht mit dem Horizont zu verschmelzen schien.
Und sie erinnerte sich an ihre Sonnenbrille, die ins Wasser fiel. Und wie sie sich in die Arme gefallen waren.

Der Himmel erschien ihr an diesem Tag auch wie ein Meer. Endlos und voller Wolken, durch die das Licht brach, und die den Himmel immer schon weitläufiger erscheinen ließen, als er es ohne sie war.


Aus dem Handy ertönte Madeleine Peyroux Stimme.
„Ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen.“ Ohne etwas zu erwidern nahm sie ihn in die Arme. „Ok“, sagte sie. „Ich habe lange nachgedacht“, fuhr sie fort, „und ich habe mich für dich entschieden.“

Sie bemerkte, dass Tropfen auf meine Schulter fielen. „Warum weinst du denn“, fragte sie ihn. „Vor Glück“, erwiderte er.
„Lass uns bitte immer ehrlich zueinander sein“, sagte er nach einiger Zeit. Die Umarmung war noch nicht zu Ende, das Lied allerdings schon. „Lass uns das, was wir haben bewahren und uns nicht verletzen.“
„Das verspreche ich dir“, antwortete sie. Sie dachte an den Mann, den sie für ihn vergessen hatte.
„Wenn ich einen Ring hätte, dann würde ich ihn dir jetzt anstecken, aber ich habe keinen.“
„Das ist mir gleich, und das weißt du auch. Ich gebe nichts auf Materielles. Es ist nur Material. Ich will Gefühl. Und ich weiß, was du für mich fühlst. Damit würde mir auch ein Ring aus dem Kaugummiautomaten reichen.“


[…] Als der Zug sich vom Gare de l'Est aus in Richtung Heimat aufmachte, dachte sie nach. Sie dachte an ihn und an den anderen und daran, was die Leute über Paris sagten. „Die Stadt der Liebe“ nannten sie sie. Was für ein Irrsinn. Paris war nicht die Stadt der Liebe.
Paris war laut und wild und hektisch. Paris war dramatisch und abenteuerlich. Paris war der Ort der Entscheidungen.
Sie hatte sich für den Mann entschieden, der Anfang des Jahres in ihr Leben getreten war, denn es war die beste Wahl, die sie treffen konnte. Sie war realistisch.
Er war treu. Er war gutmütig. Vielleicht etwas zu naiv. Aber er liebte sie und er sagte es … auch wenn es zu einer Zeit kam, in der sie sich von ihm fortbewegt hatte. Er hatte ihr Fortgehen bemerkt und wollte sie daran hindern. Er wollte alles dafür tun, dass es nie mehr so weit kam. Und er zeigte genau das. Folgte ihr nach Paris, in ihre ausgelagerte Heimat, die wieder Heimat geworden war, trotz allem, was dort passiert war.
Er reiste ihr mit dem Zug hinterher und hielt sie fest.

Und reichte das nicht, um glücklich zu sein? Braucht man denn wirklich so viel, von einem Was-auch-immer? Braucht es wirklich so viel?
Sie würde ihn wieder lieben können.
Sie könnte es schaffen.

Sollte man mehr erwarten? Mehr als die Aufrichtigkeit der Gefühle des Anderen?
 

Die Leute sagten immer, dass man nichts erwarten sollte. Dann fällt einem alles zu. Aber war das wirklich wahr?
Ihre Mutter sagte ihr irgendwann einmal, dass … dass immer einer mehr liebt als der andere, und dass das der Mann sein sollte. Es erspart einem so viel Leid.
Sie hatte genug gelitten in ihrem Leben, und das wollte sie nie wieder.

Aber könnte es denn nicht auch so sein, dass man, wenn man nichts erwartete, auch nicht das bekam, was man haben wollte? Dass man nicht das bekam, was man sich wünschte?
Sollte man nicht viel mehr erwarten, dass man das bekommt, was man sich wünscht und danach streben, danach suchen?
Sie wusste die Antwort darauf nicht.

Aber die Entscheidung war gefallen. Sie wollte frei sein für ihn. Den Mann, der ihr sagte, dass er sie liebte, und der sie heiraten wollte.

Tage später besuchte er sie in meiner kleinen, viel zu teuren Wohnung und kochte für ihn. „Mach mal die Augen zu“, sagte er. Sie tat, um was er sie gebeten hatte und bemerkte, wie er hinter sie trat. Ich spürte etwas Kühles, Metallenes, das sich an ihren Hals schmiegte.
Im Spiegel sah sie, was es war: eine goldene Kette mit einem Anhänger. Ein Herz, an das sich links und rechts ihre Initialen schmiegten.
„Das ist das einzige vergoldete, das ich gerade finanziell tragen kann. Aber deinen Ring bekommst du trotzdem.“ Und eben diesen steckte er ihr an den Finger.
„Ein Ring aus dem Kaugummiautomaten“, sagte sie.
„Ja! Du sagtest ja, dass du einen haben willst.“
Sie lachte, fiel ihm um die Arme und küsste ihn – und das Essen war vergessen.

[...]

Er schrieb ihr. Er schrieb ihr nahezu jeden Tag und sie dachte sich, wenn sie Freunde sind, dann würde es nichts geben, das man verstecken müssen. Also schrieb sie ihm zurück. Und er schrieb ihr zurück. Und sie schrieben sich nahezu jeden Tag, immer. Von morgens bis abends. Sie schrieb ihm, auch wenn sie bei ihrem Verlobten war. Er fragte sie eines Tages mit wem sie sich denn so viel unterhielt und sie sagte: „Mit einem Freund.“ Er stellte keine weiteren Fragen.
Sie schrieb ihm und sie freute sich über jede Nachricht, die er ihr zukommen ließ.

[…]

Er war den ganzen Abend lang nicht erreichbar gewesen. Wahrscheinlich war sein Akku dieses Mal wirklich zur Neige gegangen. Er vergaß so oft, sein Handy aufzuladen und sein Akku zeigte oft nur noch 1% an – dieses eine Prozent war allerdings besonders hartnäckig und schien immer besonders lange zu halten. Manchmal sogar stundenlang. Und dann ging es erst aus, als sie wieder bei ihm waren.
In letzter Zeit ging sein Handy öfter mal aus. Es machte ihr nichts aus. Sie war beschäftigt, bespaßte Schüler, traf Freunde, oder schrieb ihm.

An diesem Abend war es anders. Er erinnerte sie von ihrem Gefühl an den Abend, als er mit seinen Freunden, und der Kellnerin unterwegs war, die ein Auge auf ihn geworfen hatte. Den ganzen Abend lang hatte sie sich furchtbar gefühlt, konnte nicht einschlafen. Dass er ausgegangen war, erfuhr sie allerdings erst am nächsten Tag. Und dass er viel zu viel getrunken hatte. Und dass die Kellnerin seine Schlüssel geklaut hatte.

Auch wenn ihre Gedanken in die Ferne schweiften und sich dort sehr wohl fühlten, hatte sie ein ungutes Gefühl. Aber warum sollte sie das haben – er war schließlich mit ihr verlobt.

Sie schlief schlecht ein, wie an dem Abend vor vielen Monaten. Als sie morgens auf ihr Handy sah, sah sie die Benachrichtigung einer neuen Nachricht.
„Guten Morgen mein Schatz“, schrieb er. „Mein Handy ging gestern aus. Ich habe wieder vergessen, es aufzuladen. Upps! Wir waren gestern noch unterwegs.“
Sie begann zu tippen „Ja, das habe ich mir gedacht. Warst du mit M. unterwegs?“
„Ja, der war auch dabei. Es war ein super Abend.“
„Wo ward ihr denn?“
Und dann las sie es. Sie waren in dem Restaurant, dessen Namen sie nicht mehr hören wollte. Und den Namen, den sie nicht mehr lesen wollte.
„Sie war auch dabei?“
Sie fühlte den Ärger in sich aufkochen.
„Ja. Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, da ich weiß, wie eifersüchtig du bist.“
Sie erwiderte nichts.
„Aber es ist nichts passiert. Sie hat sich von mir ferngehalten.“
„Das mag ich doch hoffen“, erwiderte sie trocken. Glauben konnte sie es allerdings nicht. „Wie lange ward ihr denn unterwegs?“
„Bis um 4, wir sind dann noch durch die Stadt getingelt.“
„Zu dritt“, fragte sie.
„Nein, zu zweit“, schrieb er. Sie wollte nicht wissen, mit wem er diese Zweisamkeit genossen hat. Es war genug. Sie konnte es verdrängen.
Sie musste es.
Musste sie?


„Du schreibst ihm mehr als A.“, stellte ihre Freundin auf der Insel fest, nachdem sie auf die Frage, mit wem sie schrieb geantwortet hatte.
„Das stimmt“, gab sie zu. „Aber wir sind Freunde.“
„Seid ihr das wirklich?“


Nein. Sie konnte es nicht länger verbergen. Ihren Missmut über ihn, was er getan hatte. Ihre Gefühle, die sie versucht hatte, zu verdrängen, und die ihr durch einen Ausspruch ihrer Freundin mit einem Male bewusst geworden waren.
„Schau“, sagte sie ihrer Freundin und zeigte ihr Handydisplay. „Er schickte mir ein Foto seiner Nichte. Sie sind gerade in Wien.“
„Mhm“, entgegnete ihre Freundin mit einem Blick auf das Display. Dann sah sie ihre Freundin lange und nachdenklich an. „Oh meine Liebe“, sagte sie langsam. „Pass nur auf, dass der sich nicht auch noch in dich verliebt.“
„Was“, rief sie. „Das passiert nicht! Das will ich nicht!“
Und dann dachte sie daran, ob es passieren könnte. Und ob sie das, im Grunde ihres Herzens, nicht doch wollte.

 
Nein, sie konnte es nicht länger leugnen. Sie konnte sich nicht länger verleugnen. Und da sie sich nicht länger verleugnen konnte, konnte sie es auch nicht länger ertragen, im goldenen Käfig sitzen zu müssen – geschweige denn ihn zu tragen.
 

Und so nahm sie die Kette ab, legte sie auf den Sand, der noch warm von der Sonne war. Es war Herbst, doch die Sonne erinnerte sich noch zaghaft an den Sommer, der allmählich verging. Sie blickte eine Ewigkeit auf das goldene Metall, das im Licht reflektierte, und fasste dann ihren Entschluss.
 

Sie warf so viel Sand auf die Kette, bis sie nicht mehr zu sehen war.
Wie auch sie war der Eine aus den Augen, der Andere wieder im Sinn. Und dort sollte er bleiben.
Dort würde sie ihn immer verwahren.

Sie hatte ihm bereits vor Monaten ihr Herz geschenkt, und das wollte sie nun nicht mehr schweigen lassen. Kein anderer Mann sollte es erhalten. Sie würde ihre Liebe in ihrem Herzen verwahren, bis er sich ebenso für sie entschieden hätte.


[…]

Er beobachtete ihren Hals, sagte aber nichts. Instinktiv griff sie an die Stelle, an der das Herz gewesen war. „Was ist denn?“
„Du trägst die Kette nicht“, bemerkte er.
„Ich habe sie verloren“, log sie.
Er erwiderte lange nichts. „Liegt es an mir? Liegt es an dem Abend, an dem ich mich nicht gemeldet hatte?“
„Nein“, sagte sie. „Es liegt an mir.“
Sie zögerte, holte tief Luft und sagte: „Und ihm.“

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